Die
Complementär-Medizin befasst sich zuwenig mit einem zunehmenden
Problem, nämlich dem Lärm. Dies liegt daran, dass diese
Belastung mit irgendwelchen Test-Geräten oder Testmethoden
am Menschen direkt nur schwer ermittelbar ist und man ausschliesslich
auf die subjektiven Aussagen der Patienten angewiesen ist, die natürlich
individuell jeweils anders registriert werden.Ohne
in Nostalgie zu verfallen und ohne alte Zeiten wieder heraufzubeschwören
- aber in früheren Zeiten muss es ruhiger als in unserer schnelllebigen
Welt zugegangen sein. Wohlgemerkt, wir beziehen uns in diesem Artikel
nur auf den Krach und den Lärm. Andere Belastungen seitens
der Umwelt, die sicher vorhanden waren, sollen einmal ausgeklammert
werden.
Das einzige an Lautstärke, was den damaligen Bürger zutiefst
beunruhigte war Kriegslärm und Kriegsgeschrei, aber auch nur
dann, wenn sich diese Ereignisse ins einer unmittelbaren Nähe
abspielten. Die beiden Weltkriege, besonders der letzte, brachten
aber das Thema Lärm mit Schrecken und Todesangst in wesentlich
weitere Bereiche unseres abendländischen Welt.
Wenn wir uns heute unsere Umwelt etwas näher unter die Lupe
nehmen, so müssen wir trotz aller Lärmschutzmassnahmen
aber konzedieren, dass industrieller Fortschritt, der zunehmende
Verkehr zu Land und zu Luft sowie das oft übertriebene, sogar
überflüssige Kommunikationsbedürfnis der Menschen
die Welt mit Akustosmog - kein glücklich gewähltes Wort
- erfüllen.
Anwohner von Flughäfen und Autobahnen sowie viel befahrenen
Bundesstrassen können ein Lied davon singen, wie ihre verdiente
Ruhe, nach der sie sich manchmal sehnen, durch diesen Verkehr zunichte
gemacht wird. Wenn ein ausgewachsener Jumbo-Jet oder jetzt der A
380 im Landeanflug oder mehr noch beim Starten die Anwohner eines
Flughafens mit seinem Lärmteppich überzieht, ist es aus
mit der Nachtruhe. Ein Problem, das bei vielen Airports für
Sprengstoff in der Lokalpolitik sorgt.
Es erhebt sich - besonders aus biologischer Sicht - die Frage, wie
sich nun der ständige oder chronische Lärm auf die Menschen
auswirkt.
Die Berliner Charité hat in einer Studie herausgefunden,
daß chronischer Lärm negative Auswirkungen auf das Herz
hat.
So steigt durch den stetigen Lärm auf Strasse, Schiene und
in der Luft das Herzinfarkt-Risiko bei männlichen Patienten
um rund fünfzig Prozent. Bei Frauen steigt dieses Risiko sgar
um zweihundert Prozent.
Der
Leiter der Studie, Prof. Stefan Willich, äusserte sich dazu
wie folgt: "Das Herzinfarkt-Risiko scheint mehr mit der physiologischen
Belastung durch Lärm in der Umwelt oder am Arbeitsplatz verbunden
zu sein, als mit der subjektiven Belästigung, die der einzelne
durch Lärm verspürt".
Diese Charité-Lärm-Studie wurde zwischen 1998 und 2001
durchgeführt. Insgesamt nahmen mehr als 4000 Patienten aus
32 Berliner Kliniken daran teil. Von diesen Probanden hatten rund
2000 einen akuten Herzinfarkt erlitten, während die anderen
zu einer Kontrollgruppe ohne Herzinfarkt gehörten.
Drei Viertel der Patienten waren männlich und im Durchschnitt
56 Jahre alt, ein Viertel waren Frauen mit einem Durchschnittsalter
von 58 Jahren.
Wie erklärt sich nun der Zusammenhang zwischen Lärm und
Herzinfarktrisiko? Die Forscher sehen den Grund in erhöhten
Stressfaktoren. Chronischer Lärm scheint eine erhöhte
physiologische Stressantwort des Körpers und damit eine Mehrbelastung
zu provozieren. Dadurch steige auch der Adrenalinspiegel, so die
Kliniker. Dies wiederum erhöht den Blutdruck mit all seinen
negativen Begleiterscheinungen.
Viele lärmgeplagte Menschen greifen zur Stresskompensation
zur Zigarette, was das Risiko weiter in die Höhe treibt. Kommt
dann noch starker Zeitdruck hinzu, dann ist das Risiko noch weiter
erhöht.
Man muss sich weiterhin fragen, inwieweit der Lärm in Discos
und Tanzveranstaltungen sich negativ auf die Gesundheit auswirkt.
Der Autor dieser Zeilen kann davon aus einem eigenen Erlebnis heraus
ein Lied singen.
Freunde fragten uns, ob wir nicht zu einem Konzert (oder wie immer
man das nennen mag) von Tina Turner mitgehen wollten.
Unser anfängliches Zögern versuchten sie damit zu überspielen,
indem sie auf das Alter von Tina Turner hinwiesen. Mit ihrem Alter
von über sechzig Jahren würde sie uns schon nicht die
Ohren volldröhnen und wohl altersgemässe Musik produzieren.
Nun gut - wir gaben nach. Für alle Fälle besorgte meine
Frau in der Apotheke für jeden ein Paar Ohrstöpsel.
Wir harrten der Dinge und hatten uns in weiser Voraussicht Plätze
weit entfernt von der Bühne mit ihren wahrscheinlichen Monsterlautsprechern
besorgt.
Aber es kam schlimmer als wir es je gedacht hatten. Es war weniger
die Lautstärke an sich, gegen die man sich trotz der Ohrstöpsel
mit zusätzlich vor die Ohren gehaltenen Händen einigermassen
wehren konnte. Es war die Wucht, das Wummern und die Fülle,
es waren die riesigen Woofer und Subwoofer, die die gesamte Frankfurter
Festhalle und auch den eigenen Körper zum Vibrieren brachte.
Diesem mit dem Lärm verbundenen Aspekt war man im Grunde schutzlos
ausgeliefert. Wir empfanden dies als regelrechte lärmige Körperverletzung,
so dass wir in der Pause neben vielen anderen diesen Raum der akustischen
Hölle verliessen. Beim Weggehen sahen wir noch etliche Hunderte
sich in dem Lärm ekstatisch zu bewegen, dabei kam mir der Gedanke,
ob die HNO-Ärzte der Zukunft wohl zunehmend Lärmgeschädigte
und Tinnitus-Geplagte in ihren Praxen zu versorgen haben werden.
So weit das eigene Erlebnis, das als Positivum ein Verständnis
für alle Lärmgeschädigten hinterliess.
Man
sollte meinen, dass die Stätten, in denen sich Patienten regenerieren
sollen, ein Ort der Ruhe und der Stille sind. Weit gefehlt. Unsere
Krankenhäuser bieten leider das Gegenteil in Hülle und
Fülle.
Die Schritte von Schwestern, Pflegern und Ärzten hallen über
die langen Stationsflure, Telefone klingeln. Besucher zu jeder Zeit,
womöglich noch beim Bettnachbarn, der eventuell noch in der
Nacht furchtbar schnarcht, lassen keine Ruhe aufkommen. Irgendelche
Geräte piepsen. Irgendwo knallen Türen. Schlimmer kann
auch ein Gefängnis-Ambiente nicht sein.
Ärzte der amerikanischen John-Hopkins-Universität haben
eine Studie zum Lärm in Krankenhäusern erhoben und sind
dabei auf alarmierende Ergebnisse gestossen.
Seit dem Jahre 1960 ist der durchschnittliche Lärmpegel erheblich
gestiegen - am Tage von durchschnittlich 67 auf 72 Dezibel, das
entspricht dem Krach einer Hauptverkehrsstraße oder einem
Staubsauger.
Die nächtliche Lärmbelastung stieg in der gleichen Zeit
von 42 auf 60 Dezibel. Am Tag bei normaler Unterhaltung ist solch
ein Wert tolerabel, aber nicht in der nächtlichen "Krankenhausruhe".
Eine der Hauptverursacher für den Lärmpegel seien die
modernen Geräte. Überwachungsgeräte und Therapieapparaturen
piepsen und surren häufig im Frequenzbereich der menschlichen
Sprache. Ärzte und Schwestern müssten daher ständig
bei der Kommunikation mit den Patienten lauter sprechen, ein Faktor,
der wiederum den allgemeinen Pegel anhebt und bei den beteiligten
Personen zu Stress führen kann.
Das führt wiederum zu möglichen Verständigungsfehlern
und dies wie ein Schneeballsystem wiederum zu Fehlbehandlungen oder
Behandlungsfehlern.
Inwieweit eine Lärmbelastung die Genesung der erkrankten Patienten
behindert bzw ein Rückfallrisiko darstellt, ist noch zu wenig
erforscht.
Einer der Fachleute zu diesem Thema: "Wir sind davon berzeugt,
dass bei Patienten mit Depressionen und auch bei chronischen Schmerzfällen
das Leiden durch Lärm verschlimmert wird".
Auch auf der Intensiv-Station, in der der Patient besonders schonend
behandelt werden sollte, wird der Kranke einer Flut von Geräuschen
ausgesetzt. Dieses ist besonders ausgeprägt, da durch das Fehlen
optischer Ausgleichsreize in den meist schmuck- und fensterlosen
Räumen der Stress erhöht wird.
Die Entbindungsstationen sind ein besonders vom Lärm betroffener
Ort. Die Verwandschaft, besonders wenn sie noch mit kleinen Kindern
anrückt, ist für das Ruhe-Bedürfnis der Wöchnerin
alles andere als nützlich.
Ausländische Grossfamilien können den Raum sogar in eine
Art orientalisch geschäftige Basar-Atmosphäre verwandeln.
Liegt dann beispielsweise im Nachbarbett eine junge Mutter, die
sich von einem Kaiserscnitt erholen soll, dann dürfte dies
der Regeneration wenig dienlich sein.
Wie ausgeprägt die Belastung durch Lärm und das Bedürfnis
nach Ruhe ist, zeigt die Beschwerdestatistik des Allgemeinen Patienten-Verbandes
in Marburg. Lärmbelästigung im Krankenhaus ist der dritthäufigste
Grund für Beschwerden nach Arzt- und Abrechnungsfehlern.
Der Bochumer Lärmforscher Rainer Guski bringt es mit einem
Satz auf den Punkt: "Geräusche werden zu Lärm, wenn
wir sie selbst nicht steuern können bzw uns gegen sie nicht
wehren können".
Ähnliches habe ich bereits weiter oben in unserem Tina-Turner-Erlebnis
beschrieben.
In den USA wollte es das Klinik-Personal einmal ganz genau wissen.
In der Mayo-Klinik in Rochester wunderten sich die Krankenschwestern
darüber, dass die meisten Patienten in der Abteilung für
Thoraxchirurgie nach der Operation Schlafprobleme hatten.
Also legten sich zwei Schwestern für eine Nacht in die Patientenbetten.
Ihnen erging es ähnlich wie den Patienten: Sie bekamen kaum
ein Auge zu. Da wurden nach den Kontrollgängen die Türen
zugeknallt oder offen gelassen, so dass man sämtliche Geräusche
aus den Fluren hörte. Um drei Uhr war die Nacht zuende. In
der Morgendämmerung wurden bei greller Deckenbeleuchtung Seifen-
und Papierspender aufgefüllt.
Um sieben Uhr morgen erreichte der Lärmpegel bei Schichtwechsel
seinen Höhepunkt: Es wurden Spitzen von bis zu 113 Dezibel
gemessen. Man mag es kaum glauben, aber dies entspricht dem Krach
einer Kettensäge oder eines Presslufthammers.
Augenscheinlich muss man selbst einmal in die Rolle eines "Patientenopfers"
schlüpfen, um seine Lärm-Missempfindungen verstehen zu
können.
Vor kurzem berichtete mir eine Patientin über die Probleme
mit ihren südländischen Nachbarn. Dort ging es abends
hoch her, laute Männerstimmen und das Zuschlagen von Türen
erschwerten ihr das Schlafen. Hinzu kam der Ärger. Beschwerden
bei der Polizei wegen nächtlicher Ruhestörung brachten
auch nicht viel Erfolg. Jeden Abend Ohropax war auch keine Lösung.
Man stelle sich vor, man hat diese Wohnung als Eigentum erworben.
Das erschwert das ganze, da man nicht so einfach die Wohnung wechseln
kann. Bluthochdruck und sogenannte funktionelle Herzbeschwerden
waren die Folgen.
Ein wenig beachtetes Problem, das jeder vermutet, aber nicht beweisen
kann: In einer amerikanischen Studie wurde aufgedeckt, dass die
Sprachentwicklung bei Kindern durch ständige Hintergrund-Beschallung,
zum Beispiel ein ständig dudelndes Radio, stark beeinträchtigt
wird.
Im Grunde herrscht in unserem Land folgende Mentalität:
Keiner möchte gern weit bis zur Autobahn fahren müssen,
möchte sie aber auch nicht in der Nähe haben. Niemand
möchte grosse Entfernungen bis zum nächsten Flughafen
zurücklegen müssen, möchte ihn aber auch nicht in
der Nachbarschaft haben.
Es ist auch nicht jedermanns Sache, irgendwo in Ruhe weit auf dem
Lande fernab jeglicher kultureller Angebote und Einkaufsmöglichkeiten
zu leben.
Mit
diesen wenigen Bereichen zum Thema Lärm habe ich sicher nur
einen kleinen Teil behandelt, es dürften ohne Zweifel noch
viele andere Störquellen in dieser Hinsicht bestehen.
Man sieht, das Thema Lärm und Krach ist nicht so einfach zu
beheben bzw - da es immer um das Gebiet der Complementär-Medizin
geht - irgendwelche, für alle gültige Therapie- und Lösungsmöglichkeiten
zu finden.
Das Hauptmotiv für diese Zeilen war es, das Augenmerk auf einen
Sektor zu lenken, der etwas stiefmütterlich behandelt und betrachtet
wird und über den es gilt, sich Gedanken für die Zukunft
zu machen.
Dr.
Dietrich Volkmer
www.literatur.drvolkmer.de
Nach oben
|